nachdem wir unsere für mitte september geplante tour wetterbedingt absagen mussten, starten udo und ich am ersten oktoberwochenende nach sulden: wir wollen das letzte wochenende mit geöffneten
hütten nutzen, um zusammen den ortler zu machen
der wetterbericht ist nicht gerade berauschend, für samstag ist eine ordentliche kaltfront gemeldet und so verschieben wir das ganze um einen tag auf sonntag. dadurch .....
.... fallen leider einige optionen für uns weg. ich möchte schon lange mal von der berglhütte über den meranerweg rauf auf den ortler. leider öffnet die berglhütte nur für die nacht von samstag auf sonntag nochmal, eigentlich hat der wirt die hütte schon
zugesperrt. auch die hintergrathütte fällt als startpunkt weg, die letzte übernachtungsmöglichkeit ist auch hier der
samstag.
somit bleibt für uns nur der normalweg von der payerhütte. wobei das ,nur' relativ ist, der ortler normalweg kann durchaus anspruchsvoll sein und sollte die angekündigte kaltfront schnee bringen,
wird die tour sicher auch ein abenteuer.
udo und ich treffen uns am sonntag um zehn uhr vormittags auf einem parkplatz am eingang des ötztals. von hier fahren wir gemeinsam bei durchwachsenem wetter die knapp 2h nach sulden. lt. website
der bergbahnen sulden hat der langensteinlift heute seinen letzten tag, das würde für uns eine höhenmeterersparnis von knapp 500hm bedeuten, recht angenehm bei insgesamt 1200 bis zur
payerhütte.
in sulden angekommen machen wir uns auf die suche nach einem cafe, gasthaus oder restaurant um die mittagspause des liftes sinnvoll zu überbrücken. dieses vorhaben stellt sich nach einiger suche
als unmöglich heraus, sulden ist ,tot'. alles ist zu, selbst menschen sind keine zu sehen. und so versuche ich wenigstens eine tageszeitung für die hüttenwirtin aufzutreiben, auch dieses projekt
endet erfolglos. immerhin haben udo und ich jetzt jeden winkel von sulden gesehen ;-). nach unserer kleinen sightseeingtour kehren wir zurück zum liftparkplatz
um den sessellift als abkürzung des hüttenzustiegs zu benutzen.
aufgrund des wetters war ich schon bei der anreise skeptisch ob der lift auch wirklich noch läuft. ein anruf auf der tabarettahütte bekräftigt uns aber, die mittagspause noch abzuwarten. auch
weil keine andersweitige info ausgehängt ist. leider kommt auch um halb zwei, dem ende der offiziellen mittagspause, kein liftmann um den lift für uns
anzuschalten. somit bleibt uns nichts anderes übrig als zu fuss loszustarten.
der aufstieg führt uns zunächst durch wald, der regen brasselt mal mehr mal weniger auf uns nieder. wenigstens schwitzen wir nicht ;-)
an der tabarettahütte holen wir die kaffeepause nach, während des weiterweges klart der himmel sogar immer wieder auf. nach erreichen der bärenkopfscharte kann ich einen ersten blick auf
teilstrecken des morgigen aufstiegs erhaschen: der neuschnee im felsigen teil scheint sich in grenzen zu halten, oberhalb des lombardibiwaks kann ich sogar eine spur im schnee erkennen. wenn
heute nicht mehr viel schnee kommt, sind die bedingungen für morgen nicht so schlecht. ich hoffe, dass die kaltfront schwächer ist/war als erwartet oder sie uns hier vielleicht nur streift.
als ich nach dem abendessen rausgehe um eine zigarette zu rauchen graupelt es. graupel im gebirge ist meist ein schlechtes zeichen, es kündigt oft eine kaltfront an. also nix mit ,das wars schon' mit
dem niederschlag :-(. in der nacht können wir die kaltfront dann auch hören, es stürmt ganz anständig. am nächsten
gehört geht mein erster, vorsichtiger dem blick durch unser zimmerfenster raus. es ist noch stockdunkel draussen, der anraum am fenster verheißt aber nichts gutes. nach dem zähneputzen wage ich einen
schritt nach draussen, es hat geschätzte 10 cm neuschnee mit einigem an wind gegeben. es ist empfindlich kalt, der wind pfeift immer noch sehr stark um die hütte.
zurück beim frühstück bespreche ich mich mit udo: ich denke wir sollten starten, umdrehen können wir immer noch. ich vermute, dass die kaltfront mehr oder weniger schon durch ist und hoffe, dass sich
da swetter zum guten für uns ändert.
die anderen in der hütte anwesenden aspiranten scheinen keinen stress mit dem start zu haben, und so sind wir die ersten die sich auf den weg machen. ich beschliesse zumindest am anfang auf die
steigeisen verzichten, wir werden unterwegs sehen, ob sie im felsteil notwendig werden.
der felsige teil lässt sich trotz des neuschnees auch gut ohne steigeisen machen, es ist halt bitterkalt und wir müssen konzentriert unterwegs sein. nach der kettenversichterten passage wird es
auch langsam tag, ich kann die ersten ,verfolger' hinter uns erkennen. wie erhofft scheint es auch der wettergott gut mit uns zu meinen: es klart auf.
vor der querung rüber ins bärenloch ziehen wir die steigeisen an, hier wird nun auch ersichtlich dass es doch einiges an schnee verfrachtet hat. aufgrund der kälte sind
die frischen triebschneepakete nicht mit der pulverschicht darunter verbunden, auch der eingelagerte, gestrige graupel entspannt die situation nicht. in der ersten steilen traverse
sind die pakete meiner meinung nach aber zu kleinräumig um eine ernsthafte gefahr für uns darzustellen, weiter oben muss werde ich das ganze immer wieder neu beurteilen müssen. dazu brauche ich halt
zumindest ein bisschen sicht, die im moment auch vorhanden ist.
der aufstieg durch das bärenloch verlangt eines an spurarbeit, die spaltensituation ist dieses jahr aber recht gut. einzig ein recht frischer, großer eissturz im unmittelbaren bereich der spur mahnt
uns zur eile. unterhalb des lombardibiwaks wähle ich die variante durch das eis, der schrund ist gut passierbar.
nach überwindung dieser ersten steilstufe kann ich einen ersten, genaueren blick auf unseren weiterweg werfen. die nun folgende, sehr steile gletscherflanke lag mir heute schon den ganzen tag im
magen: falls diese eingeblasen ist, haben wir ein problem. gottseidank hat der wind die stufe freigeblasen, die lawinengefahr stellt hier keine gefahr für uns dar.
ein blick zurück zeigt mir, dass eine seilschaft bereits auf höhe des biwaks ist. da wir durch den tiefen schnee doch recht langsam vorankommen erwarte ich, dass sie uns irgendwann auf dem platt
einholen werden.
als das gelände flacher wird ändert sich die wettersituation schlagartig: innerhalb von wenigen minuten hat sich das wetter vom strahlenden sonnenschein in ein
komplettes whiteout entwickelt. die wegfindung auf diesem hochplateau ist im nebel und ohne vorhandene spur alles andere als einfach. ohne ein paar
blicke aufs gps wär ich schon im aufstieg chancenlos gewesen, ich hätt mich nicht hochgetraut, wir hätten umdrehen müssen. später erfahre ich, dass die zwei hinter uns durch den nebel und
schneesturm unsere spur verloren haben und umgedreht sind.
ich finde nach ein wenig ,haken schlagen' dann auch den gipfelgrat. hakenschlagen, weil ich nach jedem blick aufs gps die richtung um fast 90 grad wieder ändern muss. auf den letzten metern über den
schneegrat zum kreuz rüber kann ich mich das erste mal seit mindestens einer stunde ein wenig entspannen: der weg hat zumindest grob gestimmt, die wegfindung stellt nun bis zum gipfelkreuz keine
probleme mehr dar. kurz reisst es sogar die wolkendecke über uns auf.
nach gut vier stunden erreichen wir den gipfel. trotz der genugtuung bisher einen guten job gemacht zu haben kommt keine richtige gipfelfreude auf: es ist scheisskalt, udo spürt die finger nichtmehr,
wir beide haben eiskalte zehen. ich will nach ein paar fotos auch gleich wieder runter, der sturm verbläst mir sonst meine spur, die im dichten nebel mein einziger anhaltspunkt ist.
nach ein paar metern abstieg tauchen wir wieder in den dichten nebel ein und nach einigen weiteren metern passiert das befürchtete: der wind hat meine aufstiegsspur schon komplett zugeblasen, die
wegsuche beginnt damit von neuem.
jeder der mal auf einem gletscherplateau im whiteout unterwegs war weiss, wie schwierig die orientierung und das einschätzen von distanz und steilheit im nebel ist. man sieht sachen die es
eigentlich nicht gibt, erschrickt vor jeder mulde und findet alles steiler als es normalerweise sein dürfte. nach zwei glimpflich verlaufenen spaltenstürzen meinerseits stehe ich dann vor einem
problem: das erste mal in meinem bergsteigerleben weiss ich zwar wo ich bin (gps sei dank!), ich weiss aber nicht, wo genau es weiter geht: links runter ist es sehr spaltig und steil, rechts lang
stimmt mit meinem bauchgefühl nicht zusammen - da kommt meiner meinung nach ein riesiger schrund. und geradeaus hatte ich gerade zweimal luft unter den sohlen. sollte es nachfolgende gruppen
geben, würden bei der nebelsuppe schon ein paar meter distanz reichen, wir würden nichts voneinander mitbekommen.
also, was nun?
mir kommt erstmals in meiner bergführerkarriere der gedanke das schlechte wetter auszusitzen. schnee als windschutz wär reichlich vorhanden, im biwaksack könnten wir es schon eine weile aushalten
und ewig kann das wetter ja nicht mehr so beschissen sein - der wetterbericht wär für heute ja recht gut gewesen. ich bin ein wenig unsicher geworden, der wind hat alle offenen spalten - ausser
den ganz grossen - zugelassen.
einen versuch will ich aber noch wagen, eine richtung bliebe noch. ich vermute zwar, dass dieser oberhalb eines abbruchs oder einer grossen spalte endet, aber probieren will ich es
trotzdem.
ich versuche ein wenig mehr info aus dem gps rauszulesen, die italienischen tabaccokarten sind aber leider einfach keinen teufel wert.
konzentriert halte ich mich ein wenig mehr nordwärts und glaube nun alle paar meter miniverwehungen zu sehen, die von meiner aufstiegsspur stammen könnten. sicher bin ich mir allerdings bei
weitem nicht, ein versuch ist es aber wert. ein kontrollblick kurz darauf aufs navi zeigt mir dann aber dass die grobe richtung stimmt. schon nach ein paar weiteren metern ist die spur leider
wieder weg und ich merke, dass ich mich zu weit westlich befinde. also wieder einen haken nach nordosten schlagen, im nebel kann ich kurz darauf die grosse spalte erkennen, dieser bin ich im
aufstieg rechterhand gefolgt. ich kann ein wenig durchatmen, ich bin richtig unterwegs. von meiner spur ist aber weit und breit nichts zu sehen, diese könnt
aber auch nur ein paar meter nebendran verlaufen.
mit dem gps in der hand suche ich mir den weg weiter über das ortlerplatt runter. nach kurzer zeit sehe ich einige meter unterhalb und ein wenig östlich von mir eine grosse gruppe aufsteigen.
schnell lasse ich das gps im hosensack verschwinden ;-) und passiere die ca. fünfzehn mann starke ansammlung. es ist ein einheimischer bergführer, dem sich sämtliche anderen teams angeschlossen
haben.
ich bin nun endgültig durch - jetzt habe ich eine ausgetretene autobahn runter bis zum biwak.
kurz nach dem treffen mit den anderen teams reisst im unteren teil sogar die wolkendecke auf und ich kann meine aufstiegsspur ein wenig ,begradigen' ;-).
ich zweifle kurz, ob es nicht doch besser gewesen wäre mit dem start heute früh ein wenig zuzuwarten. als es jedoch gleich darauf oben wieder zumacht und es auch bis in den nachmittag hinein ab
ca. 3400m aufwärts dichtbleibt, bestätigt sich meine entscheidung in der früh zeitig zu starten: es wäre sich ,gehupft wie gsprungen' geblieben.
der weitere abstieg zur payerhütte geht nun reibungslos vonstatten, den ersten teil des felsgrates lassen wir die steigeisen an, die spur ist von den anderen ziemlich festgetreten. rauf war's
angenehmer da wir den schnee in der früh noch jungfräulich hatten.
die temperatur ist nun auch ein wenig angezogen, ich habe allerdings immer noch abgefrorene zehen und udo hat ein taubheitsgefühl in seinen fingern. nach der wohlverdienten pause in der
payerhütte machen wir uns an den abstieg nach sulden, uns stehen noch 1200 hm und die heimfahrt bevor.
ich merke erst unterhalb der tabarettahütte wie das blut in meinen zehen wieder zu zirkulieren beginnt. der daraus resultierende ,huenagel' beschert mir einen recht schmerzhaften weiteren abstieg
runter nach sulden.
unten am parkplatz freuen wir beide uns sehr, wir sind heilfroh endlich aus den schuhen rauszukommen.
nach gut 2h Autofahrt schmeißt udo mich am parkplatz auf der ötztalerhöhe aus dem auto, ihm stehen jetzt noch gute 5h heimfahrt nach nürnberg bevor, er muss morgen um acht schon wieder im büro
sein.
auch mir graut es ein wenig vor den 45min fahrt nach obergurgl - leider bin ich gestern mit dem motorrad rausgefahren. also leider wieder rein in die bergschuhe, auch die überjacke- und hose
sowie handschuhe wieder an. während der fahrt nach obergurgl bekomme ich die 1260m höhenunterschied vom taleingang bis obergurgl nochmal zu spüren: zu hause angekommen bin ich ein eiszapfen,
zehen und finger sind wieder taub.
für mich war die heutige tour mein sommerabschluss als bergführer. trotz der schwierigen, widrigen umstände bin ich mit dem wochenende zufrieden. ich war gefordert, aber genau diese situationen
mag ich: ich fühle mich in meinem job wohl wenn ich merke, dass ich gebraucht werde und dass sich die ,investition bergführer' für meine kunden auszahlt - ich bin einfach kein freund der
ausgetretenen normalwege. obwohl ich zugeben muss, dass ich heute beim abstieg heilfroh war, der fetten spur der anderen folgen zu können ;-)).